Sonntag, 27. Oktober 2024

Hinton’s düstere Prophezeiung

Die Entwicklung künstlicher Intelligenz hat in den letzten Jahrzehnten eine beispiellose Dynamik erreicht und die Art und Weise, wie Menschen arbeiten, kommunizieren und Kriege führen, tiefgreifend verändert. Es besteht ein breiter wissenschaftlicher Konsens darüber, dass KI das Potenzial hat, menschliche Intelligenz zu übertreffen, wie dies von Experten wie Geoffrey Hinton, einem der Pioniere auf diesem Gebiet, unterstrichen wird. Er weist darauf hin, dass die Frage nicht mehr lautet, ob KI die menschliche Intelligenz übertreffen wird, sondern wann dies geschehen wird. Hinton schätzt, dass es innerhalb der nächsten fünf bis zwanzig Jahre eine signifikante Wahrscheinlichkeit (ungefähr 50%) gibt, dass wir mit dem Problem konfrontiert werden, dass KI-Systeme versuchen könnten, die Kontrolle zu übernehmen.




Hinter dieser Einschätzung stehen eine Reihe technischer Fortschritte und die Tatsache, dass KI-Modelle wie große Sprachmodelle mittlerweile eine immense Menge an Wissen und kognitiven Fähigkeiten besitzen. Laut Hinton sind diese Modelle weit mehr als statistische Tricks; sie sind die besten Theorien, die derzeit zur Erklärung der Funktionsweise des menschlichen Gehirns vorliegen. Besonders besorgniserregend ist die Fähigkeit, dass neuronale Netzwerke in unzähligen Kopien repliziert und in parallelen Prozessen unterschiedliche Datensätze analysieren können. Eine solche Effizienz in der Wissensaufnahme und -verarbeitung ist für den Menschen unerreichbar.

Während die Kontrolle über KI in vielen Bereichen als wissenschaftliches Problem und gesellschaftliche Herausforderung diskutiert wird, offenbart sich die größte Gefahr in ihrer militärischen Nutzung. Historisch gesehen haben technologische Fortschritte in der Rüstungsindustrie oft zu einem Paradigmenwechsel in der Kriegsführung geführt. Ein bekanntes Beispiel ist das Manhattan-Projekt, das zur Entwicklung der Atombombe führte. Hierbei handelte es sich um eine Waffe, die nicht nur das Kräfteverhältnis während des Zweiten Weltkriegs verschob, sondern auch eine weltweite nukleare Bedrohung einleitete. Ein ähnliches Szenario scheint sich derzeit im Kontext der KI zu entfalten. Hinton betont, dass die militärischen Anwendungen von KI von nahezu allen regulatorischen Bestimmungen ausgenommen sind. Dies gilt sowohl für die Gesetzgebung der Europäischen Union als auch für nationale Gesetze in den G7-Staaten. Diese Ausnahme lässt Regierungen einen breiten Spielraum, KI in der Verteidigung und im Krieg einzusetzen.

Der russische Präsident Wladimir Putin sagte bereits 2017: „Wer auch immer KI kontrolliert, wird die Welt kontrollieren.“ Diese Aussage verdeutlicht die geopolitischen Implikationen, die mit dem Wettlauf um KI-Vorherrschaft verbunden sind. China investiert derzeit massiv in die Erforschung und Entwicklung militärischer KI und könnte den Westen in naher Zukunft überholen. Die Verwendung von KI zur Generierung von Zielvorgaben in militärischen Konflikten ist bereits Realität. Es wird befürchtet, dass die nächste Eskalationsstufe der Einsatz autonomer Waffensysteme sein könnte, die eigenständig tödliche Entscheidungen treffen können. Die Existenz solcher „Roboter-Soldaten“ oder „tödlicher Drohnen“ wirft ethische und sicherheitspolitische Fragen auf, die vergleichbar mit der Debatte um chemische Waffen sind. Während für chemische Waffen internationale Abkommen existieren, die ihre Verwendung regulieren, gibt es bislang keine derartigen Regelungen für KI.

Der rapide Fortschritt in der KI-Entwicklung wird durch den intensiven Wettbewerb zwischen Technologiekonzernen wie Google und Microsoft weiter beschleunigt. Google, ehemals Vorreiter in der Sicherheitsethik, wurde von den Marktmechanismen gezwungen, sein Engagement für Sicherheitsrichtlinien aufzugeben, um mit Microsoft Schritt zu halten. Dieser Wettbewerb und die geopolitischen Rivalitäten zwischen Nationen wie den USA, China und Russland verstärken das Risiko eines unkontrollierten Fortschritts in der Entwicklung von Militär-KI.

Angesichts dieser Entwicklungen ist es von entscheidender Bedeutung, sowohl die wissenschaftliche Gemeinschaft als auch die Politik zu mobilisieren, um Kontrollmechanismen für KI zu etablieren. Es ist jedoch fraglich, ob die derzeitigen Regulierungen ausreichen werden. Hinton zeigt sich enttäuscht von der Tatsache, dass bestehende Gesetzesinitiativen zwar erste Ansätze bieten, aber keine durchsetzbaren Mechanismen beinhalten. Der Ruf nach einem internationalen Abkommen, ähnlich der Genfer Konventionen, wird zunehmend lauter. Dies könnte jedoch erst dann realisiert werden, wenn „sehr unschöne Dinge“ geschehen sind, so Hinton.

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